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ADHS was ist das?

Beim Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) handelt es sich um ein situationsübergreifendes Muster von Auffälligkeiten in drei Verhaltensbereichen. Diese so genannten Kernsymptome der ADHS sind:

  • Unaufmerksamkeit (eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit, eingeschränkte Daueraufmerksamkeit, erhöhte Ablenkbarkeit),
  • Hyperaktivität (die bei Kindern eher als sichtbare motorische Unruhe und bei Erwachsenen häufig als unangenehm erlebte innere Unruhe auftritt),
  • Impulsivität (mangelnde kognitive, emotionale und/oder motorische Impulskontrolle).

Bei Männern findet sich häufiger eine ausgeprägte Impulsivität, bei Frauen sind dagegen die Aufmerksamkeitsstörungen eher im Vordergrund.
Als sogenanntes ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ohne Hyperaktivität) wird der oben dargestellte Symptomkomplex beschrieben, wenn statt einer starken äusseren oder inneren Unruhe eher ein verträumt wirkender Rückzug stattfindet.

Was könnte Ihnen in der Praxis auffallen? Hat eine Patientin oder ein Patient Probleme

  • mit der Selbstkontrolle/-disziplin,
  • klagt über Ruhelosigkeit,
  • hat Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle
  • und/oder Probleme bei der Planung oder beim Verfolgen von Aufgaben und Zielen,
  • klagt über Defizite beim Zeitmanagement und bei der Lebensorganisation.

dann sollte an ADHS gedacht werden. Dabei sollten sich die als störend erlebten Symptome wie ein "roter Faden“ durchs Leben ziehen, es reicht nicht als Erwachsener in den letzten Wochen oder Monaten Probleme in diesen Bereichen zu haben. Häufig zeigen sich zusätzliche Probleme, zum Beispiel ein auffälliges Suchtverhalten, depressive Stimmungsschwankungen oder auch sozial auffällige Störungen der Impulskontrolle. So versuchen jugendliche und erwachsene ADHS-Betroffene oft ihre Unruhe und ihre Impulsivität durch den vermehrten Konsum von Nikotin, Alkohol, Cannabis oder anderer Substanzen zu reduzieren.

Bei der Beurteilung, ob ein ADHS oder ADS vorliegt, sind Fachkenntnis und differentialdiagnostische Überlegungen wichtig, damit die weiteren Weichen richtig gestellt werden. Es reicht nicht – und ist davon abgesehen auch nicht erlaubt –  versuchsweise ein Methylphenidatpräparat zu verschreiben und wenn es der Patientin oder dem Patienten dann besser geht, war es die richtige Diagnose.

Die Diagnose von ADHS bei Erwachsenen bleibt eine klinische Diagnose. Es gibt keine neuropsychologischen oder neuropsychiatrischen Testverfahren ober Labortests, die eine ADHS-Diagnose sicher bestätigen oder verwerfen können. Zusätzliche neuropsychologische Abklärungen können sehr wertvolle Hinweise auf das Muster von Kompetenzen und kognitiven Problembereichen geben, zwingend ist eine solche Untersuchung nicht. 

Der hier abgebildete Fragebogen kann helfen, um als Ärztin oder Arzt eine erste Einschätzung vorzunehmen, ob es weitergehende Abklärungen braucht. Für eine Diagnosestellung reicht er jedoch nicht aus. Weiterführende Literatur siehe NICE Guidelines des National Collaborating Centre for Mental Health und Crunelle CL, Van Den Brink W, Moggi F, et al. International Consensus Statement on Screening, Diagnosis and Treatment of Substance Use Disorder Patients with Comorbid Attention Deficit/Hyperactivity Disorder.

Screening-Test mit Selbstbeurteilungs-Skala für Erwachsene mit ADHS V1.11

Markieren Sie für sich das Kästchen, das am besten beschreibt, wie Sie sich in den letzten 6 Monaten gefühlt und benommen haben.   

         
           

0=niemals ; 1=selten ; 2=manchmal ; 3=oft ; 4=sehr oft

0

1

2

3

    4

Wie oft haben Sie Probleme, die letzten Feinheiten einer Arbeit zum Abschluss zu bringen, nachdem Sie die wesentlichen Punkte erledigt haben?

         

Wie oft fällt es Ihnen schwer, Dinge in die Reihe zu bekommen, wenn Sie an einer Aufgabe arbeiten, bei der Organisation gefragt ist?

         

Wie oft haben Sie Probleme, sich an Termine oder Verabredungen zu erinnern?

         

Wie oft vermeiden Sie oder verzögern Sie, die Aufgabe zu beginnen, wenn Sie vor einer Aufgabe stehen, bei der sehr viel Denkvermögen gefragt ist?

         

Wie oft sind Ihre Hände bzw. Ihre Füße bei langem Sitzen in Bewegung?

         

Wie oft fühlen Sie sich übermäßig aktiv und verspüren den Drang, Dinge zu tun, als ob Sie von einem Motor angetrieben würden?

         
           

Zählen Sie die Anzahl der Markierungen zusammen, die im grünen Bereich erscheinen. Mindestens vier (4) Markierungen deuten darauf hin, dass die Symptome einem Erwachsenen-ADHS entsprechen.

Achtung: Dieses Ergebnis bedeutet nicht, dass definitiv ein ADHS-Befund vorliegt. Aber das Ergebnis zeigt auf, dass weitere Abklärungen bei einer Fachperson sinnvoll sein können.

         

1von WHO Composite International Diagnostic Interview (Internationale Diagnostische Befragung der WHO)©, siehe auch Harvard Medical School

Behandlung mit Methylphenidat-haltigen Medikamenten

  • Nach den Richtlinien der Swissmedic sollten Methylphenidatpräparate bei Patientinnen und Patienten mit einem problematischen Alkohol- und Drogenkonsum nicht verschrieben werden.

  • Gemäss vielen wissenschaftlichen Studien besteht ein deutlich erhöhtes Risiko, dass ADHS-Betroffene zur Emotionsregulierung, zur Dämpfung der äusserlich erkennbaren oder innerlich erlebten Unruhe und Anspannung oder zur besseren Fokussierung Substanzen wie Nikotin, Cannabis oder Alkohol einsetzen.

  • Insgesamt ist die Prävalenz für das Auftreten einer Abhängigkeitsproblematik bei Menschen mit unbehandeltem ADHS deutlich höher als bei Menschen ohne ADHS bzw. mit gut behandeltem ADHS. ADHS trägt dann massgeblich zur Suchtdynamik bei.

  • Es ist daher sehr wichtig, bei allen Menschen mit Suchtproblemen an eine mögliche Komorbidität mit ADHS/ADS zu denken. Eine Diagnosestellung bei Komorbidität ist anspruchsvoll und setzt eine adäquate Gesprächspartnerin oder einen adäquaten Gesprächspartner voraus.

  • Eine akute Abhängigkeitserkrankung schliesst die medikamentöse Behandlung mit Methylphenidatpräparaten in der Regel aus. Eine stabile Opioidagonistentherapie bei Opiodabhängigen sollte in diesem Fall aber nicht als Kontraindikation gewertet werden.

  • Im Praxisalltag wird es immer wieder schwierige Situationen geben, in denen abgewogen werden muss, ob und in welcher Form eine medikamentöse Behandlung bei eingeschränkter Compliance fortgeführt, unter- oder sogar abgebrochen werden soll. Dies gilt vor allem bei der Behandlung mit Methylphenidatpräparaten. Mögliche Risiken beziehen sich selten auf eine schwerwiegende Überdosierung, sondern eher auf das Ausprobieren in Form von Höherdosieren, nasalem oder intravenösem Konsumieren oder die unberechtigte Weitergabe oder den Verkauf auf dem Schwarzmarkt.

  • Eine tragfähige therapeutische Beziehung hilft bei der Abwägung, ob der Einsatz von Medikamenten der 2. Wahl möglicherweise weniger Risiken mit sich bringen wird. Die Therapie von Menschen mit Beeinträchtigungen durch ADHS ist anspruchsvoll und lohnend, sie sollte immer als integrierte psychopharmakologische, psycho- und sozialtherapeutische Behandlung angeboten werden.

  • Siehe auch Artikel von Beck Sophia Maria et al. im Swiss Medical Forum 2022;22(2728):439-445: Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung im Erwachsenenalter.

 

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